"Die heilige Natur". Ontologische Konzepte im religiösen Kontext

Teilprojekt innerhalb der Forschungsplattform “Religion and Transformation in Contemporary European Society” der Universität Wien

Der ontologische Naturbegriff unterscheidet sich vom naturwissenschaftlichen dadurch, dass die Natur nicht als Objekt empirischer Erforschung gesehen wird, sondern als initiative, selbsttätige Energie, die alles hervorbringt, indem sie die im jeweiligen "Wesen" angelegten Potentiale zur Entfaltung bringt, wenn nichts dazwischenkommt. In diesem Verständnis ist die Natur "Subjekt"; sie "handelt" in der Weise der Selbstentfaltung bzw. Selbstaktualisierung zum Wohl des Individuums. Dieser naturphilo­sophische Ansatz, der sich teilweise auf Aristoteles beruft und oft mit der Vorstellung einer evolutio­när-finalen Transformation zusammengeht, wurde von den Naturwissenschaften immer heftig be­kämpft, hat diese aber auch immer kritisch begleitet. Ein solches ontologisches Denken, das aus dem wissen­schaftlichen Diskurs weitgehend entlassen wurde, findet sich jedoch implizit in vielen Disziplinen wie etwa in der Pädagogik, Philosophie, Psychologie und Kunsttheorie sowie in feministischen Positi­onen (Differenz- oder Essenzfeminismus). Dies kann sich theoretisch mit einem bestimmten Religi­ons­verständnis und praktisch mit einem bestimmten Glaubenstypus verbinden (von Klaus-Peter Jörns empirisch erhoben), der den Begriff der Spiritualität in den Mittelpunkt stellt und auf keine Inhalte konkreter Religionen mehr referiert. Ontologische Konzepte haben problematische Folgen für die Einschätzung der Leis­tungen des Bewusstseins und damit auch für die Ethik. Dieses Projekt hat zum Ziel, onto­logische Denkformen, die heute besonders populär sind, in verschiedenen Disziplinen zu erheben und im geistes- und ideengeschichtlichen Kontext kritisch zu untersuchen, um sie einem wissenschaftlichen Diskurs anzuschließen und nicht als "Irratio­nalismus" in esoterische Grup­pen zu entlassen. Daraus kann sich auch ein geschärfter Blick für die Konstruktbildung in der empirischen Forschung ergeben.

Summary

The ontological understanding of nature differs from a scientific approach to nature. Nature is not regarded as an object of investigation, but an initiative energy which unfolds the potentials of an essence. Those who act for this concept partly refer to Aristotle and fight against a scientific stance which reversely fend the ontological modes of thinking and exclude ontological concepts from the scientific discourse. But ontological concepts can be implicitly found within various disciplines: in Pedagogics, Philosophy, Psychology or feminist positions and also in the conceptualisation of Religion where it creates certain types of faith (empirically discovered by Klaus-Peter Jörns) focusing on spirituality without any connection with the contents of specific belief-systems. The aim of this long-term project is to critically investigate ontological forms of thinking within these various disciplines in order to bring back this special approach to a rational discourse. This also may benefit more precise empirical studies.

Publikationen

  • Die Erfüllung von Religion im philosophischen Denken. Susanne K. Langers ontologisches Naturverständnis, in: Petra Bahr/Cornelia Richter (Hg.), Naturalisierung des Geistes - Symbolisierung des Fühlens. Susanne K. Langer im Gespräch der Forschung, Marburg 2007.
  • Die Religion der "Heiligen Natur". Freud und Jung - der bleibende Bruch, in: Quart, Zeitschrift des Forums Kunst-Wissenschaft-Medien, 2006 (Nr. 2).
  • Human Rights and Images of the Female. Historical Roots of a Dilemma,
    in: Jindrich Halama (Hg.): The Idea of Human Rights. Tradition and Presence, Prag 2003, 85-97.
  • Rechtfertigung und Ehe, in: E. Genre / A. Grillo (Hg.): Giustificazione - Chiese - Sacramenti. Atti del convegno internazionale di teologia, Studia Anselmiana 137, Roma 2003, 63-81.
  • Frauenbilder - Menschenrechte. Theologische Beiträge zur feministischen Anthropologie, Hannover 2000.
  • Sein geht vor Sollen. Der ontologische Zugang zur Rechtfertigung mit einem Ausblick auf den interreligiösen Dialog, Dokumentation des Weltkongresses des Lutherischen Weltbundes vom 27.-31. Oktober 1998 in Wittenberg, Genf 2000, 95-97 (mit dokumentierter Diskussion).
  • Being precedes doing. The ontological approach to justification with reference to interreligious dialogue, in: Wolfgang Greive (ed.), Reinterpretation of the Doctine of Justification, Lutheran World Federation, Stuttgart 2000, 81-93.
  • Die "Heilige Natur". Zur Aktualität ontologischen Denkens in der Psychologie, in: Christian Henning/Erich Nestler (Hg.), Religionspsychologie heute, Frankfurt/Main 2000, 161-180.
  • Wandel der Glückseligkeiten. Der Wohlfahrtsstaat als Schicksalsmacht?, in: Manfred Prisching (Hg.), Ethik im Sozialstaat, Wien 2000, 173-194.
  • Utopische und realistische Anthropologien im Diskurs um die Geschlechterdifferenz, in: Welt in Bewegung. Festschrift 40 Jahre Afro-Asiatisches Institut in Wien, Petrus Bsteh (Hg.), Wien 1999, 63-74.
  • Die "heilige" Natur. Zur Aktualität ontologischen Denkens in der Psychologie bei Carl R. Rogers und C.G. Jung als Folge eines neuzeitlichen Verdrängungsprozesses, in: Berliner Theologische Zeitschrift, H. 2, 1997, 233-252.
  • Montessori und die Vergottung des Kindes, in: Waltraud Harth-Peter (Hg.), "Kinder sind anders". Maria Montessoris Bild vom Kinde auf dem Prüfstand; Dokumentation des Montessori-Kongresses in Berlin 1995, Würzburg 1996, 227-242.