Womit befasst sich Praktische Theologie?
Praktische Theologie befasst sich analytisch, kritisch und konzeptionell mit der religiösen Praxis des Christentums, die in verschiedenen Formen der Kommunikation des Evangeliums zum Ausdruck kommt. Ihr Interesse gilt sämtlichen Vorgängen und Prozessen, bei denen Einzelne, die Gemeinde oder die Kirche (samt ihren Institutionen und Organisationen) in die „Kommunikation des Evangeliums“ als einem Mitteilungs-, Partizipations-, Integrations- und Interaktionsgeschehen involviert sind, in dessen Verlauf etwas zu Gunsten von Menschen geschieht. Die Erfahrung von Freiheit, das Empfangen und Gewähren-Können von Wertschätzung und Zuwendung, ein in Selbstverantwortung geführtes Leben aus Glauben – Faktoren eines guten Lebensgefühls – spielen dabei eine besondere Rolle.
Als eigenständiges Fachgebiet und wissenschaftliche Disziplin Theologischer Fakultäten ist die Praktische Theologie eine junge Disziplin. Sie hat sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts etabliert. Natürlich gab es schon vorher verschriftete Konzepte zur Aufgabe und Struktur eines Gottesdienstes, zur Funktion und Methode der Predigt, zu den Zielen und Herausforderungen der Seelsorge oder zu den Prinzipien und Perspektiven der Gemeindeleitung. Allerdings hatten solche Handreichungen häufig einen ausgesprochen pragmatisch–kasuellen Charakter und lasen sich zudem wie religiöse Literatur. Doch weder mit praktischen Erfahrungen noch aus frommen Überzeugungen allein kann man die religiöse Praxis des Christentums analysieren, beurteilen, kritisch begleiten oder gestalten. Dies ist nur mit einer wissenschaftlichen Theologie möglich, die auf sorgfältiger Beobachtung, kohärenter Argumentation und auf reflektierten Methoden basiert.
Religion als komplexes, gleichwohl spezifisches Ensemble von Erfahrungen, Einsichten, Empfindungen, Haltungen, Handlungen und Inszenierungen gewinnt in Kirche, Gesellschaft und beim Einzelnen freilich auf je besondere Weise Gestalt. Um diese verschiedenen Facetten von Religion adäquat in den Blick bekommen und sich mit ihnen auseinandersetzen zu können, bedarf es daher einer stimmigen, dem Menschsein des Menschen angemessenen Anthropologie, eines soziologisch reflektierten Kirchenbegriffs und kommunikationswissenschaftlich begründeter Strategien der „Kommunikation des Evangeliums“.
Weil bei diesen Prozessen immer Personen bzw. Subjekte im Spiel sind (die z. B. einen Kranken besuchen, eine Predigt halten oder eine Synode leiten), weil zudem mit je wechselnden Situationen zu rechnen ist (z. B. in der Seelsorge oder in der Gemeindearbeit) und weil man jedes Mal auf wechselseitiges Verstehen angewiesen ist (z. B. auf dechiffrierbare sakramentale, liturgische oder gesellschaftskritische Zeichen), gehören Psychologie (einschließlich der Religionspsychologie), Soziologie und Semiotik zu den traditionellen Gebieten des interdisziplinären Dialogs der Praktischen Theologie. Sie zu studieren, bedeutet, sich (1.) ein adäquates Verständnis vom Prozess der Kommunikation des Evangeliums anzueignen, (2.) die Probleme und Chancen der personalen Dimension dieser Kommunikation wahrnehmen zu können, (3.) sie – die Kommunikation des Evangeliums – im Kontext relevanter Situationen zu verorten, (4.) sich in den Codes ihrer Zeichensysteme auszukennen (Worte, Schrift, Gesten, Symbole, Räume, Kirchenjahr usw.) und (5.) die Dynamik ihrer der Strukturen in Kirche und Gemeinde nachvollziehen und professionell mitgestalten zu können.
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