Frauenbilder Menschenrechte

Theologische Beiträge zur feministischen Anthropologie

Inhaltsverzeichnis

Freiheit, Gleichheit - Weiblichkeit

Zwei Gesichter des Feminismus
Anthropologien im neuzeitlichen Diskurs

Zerreißproben und Ganzheitsphantasien
Biologie und Humanität der Geschlechter

Variationen über Gut und Böse
Zum Problem einer feministischen Ethik

 

Biblische Befunde

Paulus und die
Herkunft einer Wirkungsgeschichte

Eine Person von Rang und Namen
Historische Konturen der Magdalenerin

Die Verwandlung Marias
Von der Mutter Jesu zur Mutter Gottes

 

Das Kreuz mit der Liebe

Sünde, Kreuz und Frauenbefreiung
Feministische Theologie als Religionskritik

Zwischen Ohnmacht und Allmacht
Das Dilemma der Seele

Spielarten des Begehrens
Zur Rehabilitation des Eros

Freiheit, Gleichheit - Weiblichkeit

Die Behauptung, daß Frauen eine niedrigere Art der Gattung Mensch darstellen, zieht sich als ein roter Faden durch philosophische und theologische Texte. Die Frau sei körperlich schwächer, daher auf das Haus beschränkt, see-lisch instabil, daher zu echter Freundschaft nicht fähig, ethisch labiler, daher unter die Aufsicht der Männer zu stellen, und im Bereich des Geistigen zwar schlau, aber ohne systematische Vernunft. Dieses Frauenbild ist auch aus Revolutionen unbeschädigt hervorgegangen. Als die Französische Revolution die Menschenrechte verkündete, meinte sie nur die Männer. Die Einforderung der Menschenrechte für Frauen wurde damals mit der Guillotine beantwortet. Noch die 68er-Revolution unseres Jahrhunderts verstand sich vornehmlich als männliche Unternehmung.

Zugleich war die Französische Revolution die Geburtsstunde der Frauenbewegung und des Kampfes um gleiche Rechte. Das wachsende Bewußtsein der Frauen dafür, daß ihnen ein besonderer Geschlechtscharakter zugeschrieben wurde, der ihrer Menschenwürde nicht entsprach, legte die Widersprüche offen, die zwischen Anspruch und Praxis der Menschenrechte klaffen. Die 200 Jahre währende Auseinandersetzung führte auf unterschiedliche Denkwege; bis heute herrscht keine Einigkeit darüber, was Frausein bedeutet, wenn man den Entwurf von Weiblichkeit nicht mehr dem männlichen Blick überlassen will.

Auch dort, wo die Rechtsgleichheit in die Gesetzesbücher eingetragen ist, machen Frauen nicht die Erfahrung, überall willkommen zu sein. Die Methoden der Ausgrenzung sind unauffälliger geworden, die Widersprüche geblieben. Daher scheint vielen Frauen die Forderung nach Gleichberechtigung nicht der angemessene Weg. Der umgekehrte Versuch, die Geschlechterdifferenz in einem unterschiedlichen natürlichen ‘Wesen’ zu begründen und den Frauen die größere Naturnähe zu attestieren, steht heute im Kontext einer umfassenden Kulturkritik. Es ist eine offene Frage, ob Frauen damit nur zu ihrem Selbstbild machen, was ihnen seit eh und je von Männern zugeschrieben wurde, oder ob sich Gleichheit und Differenz zusammendenken lassen, ohne alte Klischees zu reproduzieren.

Das aus dem Diskurs der Aufklärung verdrängte ontologische Denken bot eine Handhabe, an das Naturwesen Mensch zu erinnern und sichtbar zu machen, daß auch der Mann nicht einfach der Mensch schlechthin ist, sondern durch sein Geschlecht das Signum der Endlichkeit trägt. Aber es führt in eine Sackgasse, wenn man meint, natürlich sein bedeute schon gut sein, um damit die Mühen des moralischen Urteils abzustreifen. So geht es immer noch um die Frage, ob für Frauen die Rechte des Menschen zu erkämpfen seien, oder ob es darauf ankäme, die Mächte des Weiblichen zur Geltung zu bringen.

Biblische Befunde

Paulus wird gemeinhin für die Abwertung der Frauen in der christlichen Tradition verantwortlich gemacht. Er gilt als Vater einer Wirkungsgeschichte, die bis in die Gegenwart ihre bedauerliche Fortsetzung gefunden hat. Aber die Geschlechterhierarchie, die er weitergibt, ist nicht seine Erfindung, sondern war schon lange vor ihm bestimmend. Paulus lebte in der kulturellen Vielfalt des Hellenismus und suchte die jüdische Theologie und die griechische Philosophie zu verbinden. Er stand vor dem Problem, das traditionelle Frauenbild mit der tatsächlichen Rolle der Frauen in den ersten Gemeinden auf einen Nenner zu bringen, ohne daß ihm dies wirklich gelungen wäre. Seine Lösungen blieben unausgegoren, so daß es Frauenfeinden wie Frauenfreunden möglich ist, sich auf ihn zu berufen. Er selbst konnte sich aber wenigstens noch in Widersprüche verwickeln. Neben dem großen Strom der Überlieferung, der aus der Feder von Männern fließt, finden sich Rinnsale und unterirdische Bäche weiblicher Prominenz: Maria von Magdala und Maria, die Mutter Jesu. Wiewohl sie das Johannesevangelium beide unter dem Kreuz stehen läßt, hat sie die Tradition in einen Gegensatz zueinander gebracht. Die Magdalenerin, offenbar die wichtigere Figur in der Jesusbewegung, wurde an den Rand gedrängt, während die Mutter Jesu, die ihn zeit seines Lebens kaum verstanden hat, in den Mittelpunkt rückte. Hinter diesem Vorgang läßt sich ein Konkurrenzproblem in der Jerusalemer Gemeinde rekonstruieren. Wer einer Erscheinung des Auferstandenen gewürdigt worden war, galt als apostolische Autorität und als Kandidat für ein Leitungsamt. Was aber tun mit einer Frau, der dasselbe widerfahren war, die aber nicht als amtsfähig galt? Die Apokryphen zeigen ungeschminkter als die kanonischen Texte, daß Maria von Magdala eine Frau von Rang und Namen gewesen sein muß und eine Herausforderung für die dominante Rolle des Petrus darstellte. Der Mutter Jesu widerfuhr in der Tradition ein anderes Schicksal. Erst nach Ostern ist sie im Kreis der Apostel zu finden, erst die theologische Poesie der Kindheitsgeschichten räumt ihr den Platz in der Heilsgeschichte ein, den schließlich das Konzil von Ephesos mit dem Titel der Gottesgebärerin würdigte. Diese Verwandlung wurde den Frauen als Modell einer gehorsamen und demütigen Haltung vor Augen gestellt. Aber die Verwandlung Marias hat einen theologischen Sinn: als Vorbild des Glaubens für alle Christen, die Männer nicht ausgenommen; und als Beglaubigung der Menschwerdung eines Gottes, der nicht auf das Große, sondern das Kleine schaut, und die Demutsrhetorik als Heuchelei entlarvt.

Das Kreuz mit der Liebe

Die Traditionen sind alt und gewichtig, der Widerstand gegen sie ist vergleichsweise jung. Viele Frauen wollen sich nicht mehr mit der Auskunft abspeisen lassen, es sei eben ein Paradox, daß das Kreuz, an dem einer zu Tode gebracht wird, Ausdruck der göttlichen Liebe sein soll. Sie reagieren darauf mit einer Religionskritik, die aus dem Geist eines Ludwig Feuerbach stammt. In diesem Fall wird der Theologie der Spiegel aber nun aus weiblicher Perspektive vorgehalten, um daran zu erinnern, daß auch das weibliche Geschlecht eine göttliche Repräsentationsfigur brauche. Andere Frauen sehen die Christologie für eine feministische Rezeption als unwiderbringlich verloren an und begeben sich in die postchristliche Position. Dem steht der Versuch gegenüber, das Menschsein Jesu als ethisches Vorbild erneut zu betonen. Läßt sich dem christlichen Inkarnationsgedanken ein Sinn abgewinnen, ohne daß das Kreuz zum Symbol für ein weibliches Opferleben wird? Doch auch religionskritische Positionen sind nicht von vornherein den Frauen gewogen. Sigmund Freud sagt dem weiblichen Geschlecht einen aus psychodynamischen Gründen unvermeidbaren Masochismus nach, der dann auch dazu herhalten muß zu erklären, warum die Frauen im friedliebenden Matriarchat so schnell ein Opfer der männlichen Eroberer werden konnten. Erst von Frauen wurden die Einseitigkeit des männlichen Blicks und die tatsächliche Benachteiligung der Frauen im sozialen Leben ins Spiel gebracht, die sich nach der rechtlichen Gleichstellung in subtileren Formen äußert. Aber es könnte auch sein, daß die kindliche Ent-deckung der anatomischen Geschlechtsunterschiede die erste narzißtische Kränkung für beide Geschlechter darstellt und, wenn diese seelische Bewährungsprobe nicht bestanden wird, in das Dilemma zwischen Ohnmacht und Allmacht führt. Zunehmend faßt das feministische Interesse nicht mehr nur die Geschichte und Situation der Frauen ins Auge, sondern die Differenz der Geschlechter und deren Beziehung zueinander. Denn einseitige Zuschreibun-gen haben letztlich immer beiden Seiten geschadet, Frauen wie Männern. Was sich zwischen ihnen abspielt, ist weiterer Überlegungen über das Begehren wert, das über die Geschlechterbeziehung hinausgeht und bis zur Lust an der Erkenntnis reicht. Die christliche Tradition hat nie ein rechtes Verhältnis zum Eros entwickelt, sich aber in der Geringschätzung des Begehrens immer wieder selbst übertroffen. Die Agape wurde gegen den Eros ins Treffen geführt, männliches Begehren der sündhaften weiblichen Leiblichkeit angerechnet. Daher ist eine Rehabilitation des Begehrens angesagt: Eros und Agape haben ihr Gelingen und ihr Versagen, sie begrenzen einander, ohne einander zu ersetzen: ein Wechselspiel, das nie zu einer endgültigen Lösung gelangt.