2. Anthropologisch-religionspsychologische Reflexion der Glaubenskultur des Christentums

Die Arbeit an einer praktisch-theo­logischen Anthropologie als Dreh- und Angelpunkt einer zeitgenössischen, dem Menschsein des Menschen entsprechenden Theorie und Praxis der Religion ist in den letzten Jahren weiter in den Fokus meiner Forschungen gerückt. Diese Schwerpunktbildung ergibt sich u. a. aus dem praktisch-theologischen Bedarf an einem anthropologisch stimmigen Begriff vom Menschsein, der mehr leistet, als die soteriologischen Weichenstellungen des 16. Jahrhunderts korrekt abzubilden. Die Gestaltung von Gottesdiensten und Predigten ist oft an einer Anthropologie orientiert, die auf das Konzept der Rechtfertigung des Sünders reduziert ist. In der zentralen, alle Human- und Geisteswissenschaften vereinenden Frage nach Menschen genügt es aber nicht, ein vermeintlich „biblisches Menschenbild“ gegen anthropologische Einsichten seit der Aufklärung zu verteidigen und es z. B. gegen „das moderne Leistungsprinzip“ zu entfalten. Es ist unausweichlich, den Menschen als Subjekt seines Lebens in den Blick zu bekommen, wozu u. a. eigene Urteile, begründete Entscheidungen und ein geklärter eigener Wille gehören.

Ohne solche Instrumente der Lebensgestaltung können sich Menschen ihrem Leben nicht mit Hingabe und Leidenschaft zuwenden, nicht wirklich „in einem eigenen Leben ankommen“. Der Glaubenskultur des Christentums entspricht jedoch nur eine religiöse Praxis, die den Menschen als Menschen zum Vorschein kommen lässt. Hierfür Perspektiven zu entwickeln, setzt eine Fortsetzung des interdisziplinären Dialogs mit Humanwissenschaften (wie z. B. der Neurobiologie und der Kognitionspsychologie) voraus, die bis vor wenigen Jahren kaum als Gesprächspartner der Praktischen Theologie im Blick waren.